Corona-Zeit: viel positiveres Fazit als erwartet
Ich habe alle meine Coaching-Kunden gefragt, was für sie die negativen und positiven Auswirkungen der Corona-Krise waren und was sie nun anders machen als vorher. Am negativsten waren für sie die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, verbunden mit einem Kontrollverlust, und dass sie nur noch remote Beziehungen pflegen konnten. Positiv wurde beurteilt, dass sie mehr Zeit für ihre Familien hatten, weniger verplant waren und gesünder lebten. Vieles davon wollen sie beibehalten.
18 meiner aktuell 25 Coaching-Kunden haben an meiner Umfrage im Juni 2020 zu den negativen und positiven Auswirkungen der Corona-Zeit teilgenommen, was mich sehr gefreut hat. Ich habe ihr Fazit nach den Themen Bewegungsfreiheit & Kontrollverlust, mehr Ängste, Einfluss auf Beziehungen, gesünder leben, neue Arbeitsweise, den Kalender aktiver gestalten, anspruchsvollere Führung und Diverses aufgeteilt. Hier ist ihr Fazit (anschliessend daran noch meines):
Bewegungsfreiheit & Kontrollverlust: eine Kundin hat es pointiert, aber treffend zusammengefasst: sie hatte das Gefühl, dass ein Krieg gegen einen unsichtbaren Feind aufzog, dem man ausgeliefert war. Man konnte fast gar nichts mehr machen wie zuvor. Vor allem war man auf sich selber und – wenn man denn eine hatte – auf seine Kernfamilie zurückgeworfen. Vielen hat es grosse Mühe bereitet, dass sie sie nicht mehr tun und lassen konnten, was sie wollten – vor allem zuhause isoliert zu sein. Ganz besonders habe ich das bei den Alleinstehenden unter meinen Kunden bemerkt. Sie hatten mit Einsamkeit zu kämpfen. Sehr viele vermissten die Unternehmungen und die Reisen, die sie absagen mussten.
Einige waren sehr beeindruckt von der Anpassungsfähigkeit der Menschen – also wie gut wir alle damit umgingen, vom einen Tag auf den anderen zuhause eingesperrt zu sein. Oder dass sehr viele Unternehmen so schnell auf Home Office umstellen konnten, nachdem dessen Förderung vorher oft auf taube Ohren gestossen war. Eine meiner Kundinnen schrieb dazu: „Die Krise reisst einem aus der Bequemlichkeit.“
Mehr Ängste: sehr wenige meiner Kunden hatten Angst, selber an Corona zu erkranken – einige wenige hatten jedoch Angst um ihre Liebsten. Wenn man Angst hatte, dann vor allem im öffentlichen Raum. Einige wenige hegten Befürchtungen hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft und ihrer Finanzen – insbesondere die drei meiner Kunden, die kurz vor Corona ihren Job verloren oder selber gekündigt hatten, weil es nun schwieriger ist, einen Job zu finden. Gewisse Unternehmenskunden spürten auch den finanziellen Druck, der auf ihrer Firma lastet.
Einfluss auf Beziehungen: Der Einfluss des Lockdowns auf unsere Beziehungen – seien es private oder geschäftliche – war einschneidend. Wir durften unsere Lieben – ausser sie lebten im gleichen Haushalt – nicht mehr sehen. Und alle Treffen fanden nur noch online – also zwei- anstatt dreidimensional statt. Im geschäftlichen Kontext empfanden das sehr viele meiner Kunden als einen grossen Nachteil, da man die Regungen der Leute unmittelbarer spürt, wenn man sich physisch trifft, und alle informellen Begegnungen, z.B. an der Kaffeemaschine, wegfielen. Es wurde einigen bewusst, wie wichtig diese Zufallsbegegnungen im Geschäft sind, da sie die Zusammengehörigkeit stärken. Dass keine physischen Treffen möglich waren, hat aber auch gemäss einigen die Kreativität von Innovations- oder Problemlösungs-Prozessen gehemmt (online ersetzt das Physische nicht ganz).
Privat hatten viele Mühe damit, engen Leuten – seien es Familie oder Freunde – nicht mehr physisch zu begegnen. Gleichzeitig hat dies aber auch dazu geführt, dass den meisten noch mehr bewusst geworden ist, wie wichtig ihnen der Kontakt zu diesen nahestehenden Leuten ist. Sie haben ihn auch aktiver (nur online) gepflegt. Zuhause war man auf die Kleinfamilie (sofern vorhanden) zurückgeworfen, was aber unisono als sehr positiv beurteilt wurde. Kaum jemand erzählte von zusätzlichem Beziehungsstress.
Gesünder leben: Fast alle meiner Kunden haben mir geschrieben, dass sie während Corona gesünder lebten, und zwar in verschiedener Hinsicht: sich mehr bewegten (Sport, Spaziergänge, Velo gekauft usw.), sich öfters in der Natur aufhielten, gesünder kochten und assen, sich mehr Ruhe und Schlaf gönnten. Die Leute haben mehr auf sich geschaut, sich Gutes getan. Aber nicht nur die physische Gesundheit wurde gestärkt, sondern auch die psychische. Viele nahmen sich mehr Zeit für Selbstreflexionen und wurden sich dadurch – alleine oder in intensiven Diskussionen mit ihren Partnern – bewusst, was ihnen wirklich wichtig ist im Leben und was ihnen gut tut (oder eben nicht). Dass fast alle private Treffen und wirklich alle berufliche Abendveranstaltungen nicht stattfanden, empfanden viele als sehr positive Entschleunigung.
Neue Arbeitsweise: Fast alle meiner Kunden erwähnten, dass sie im Lockdown-bedingten Home Office (nur eine Kundin war immer im Büro wegen einer systemrelevanten Tätigkeit) ganz anders arbeiteten. Insgesamt wurde das Home Office sehr geschätzt. Vorteile sahen meine Kunden darin, dass die Pendelzeit wegfiel, man seinen Tag wegen weniger Meetings und weniger Unterbrechungen flexibler und freier gestalten sowie fokussierter an Themen arbeiten konnte. Die Online-Meetings wurden positiver als erwartet eingeschätzt, aber – wie schon erwähnt – vermisste man die physischen Treffen. Einige hatten vor allem am Anfang Mühe, ihren Arbeitstag viel stärker selbst gestalten zu müssen, und empfanden Home Office als weniger effizient.
Den Kalender aktiver gestalten: Sehr viele meiner Kunden genossen es, dass sie weniger durchgetaktet waren als im Geschäft und an den Wochenenden leere Kalender hatten. Lediglich die Alleinstehenden hatten etwas Mühe damit. Man hatte nicht mehr das Gefühl, überall dabei sein zu müssen (privat und beruflich). Eine Kundin schrieb, dass der Default geändert habe von „viel weg und wenig zuhause“ in die umgekehrte Variante, was sie als sehr positiv empfand. Privat hatte man Zeit für spontane Aktivitäten – also für das, was einem zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade gut tat (nicht was man schon Wochen vorher abgemacht hatte). Man hatte auch mal Zeit, in den Tag hineinzuleben. Geschätzt wurde auch von einigen, dass sich der Alltag auf das Wesentliche beschränkte, also entschlackt war.
Anspruchsvollere Führung: Einige der Führungskräfte unter meinen Kunden fanden das Führen deutlich anspruchsvoller. Wenn man seine Mitarbeitenden nur online sieht, ist das Non-Verbale schwieriger zu entziffern, also wie es ihnen denn genau geht. Und die informellen Treffen, die in diesem Zusammenhang hilfreich sind, fielen wie erwähnt weg. Einige Prozesse waren auch komplizierter, z.B. das Einarbeiten von neuen Mitarbeitenden. Die Führungskräfte erwähnten, dass es anspruchsvoller sei, seine Leute zu motivieren, wenn man sie nicht regelmässig sehe, dass insgesamt das Führungsverhalten viel situativer sein und man kreative Lösungsansätze suchen müsse. Schwierig waren auch „Tadel-Gespräche“, da man einiges vom Negativen nicht mittels Körpersprache oder Platzwahl abdämpfen konnte. Insgesamt brauchte es ein noch viel empathischeres Vorgehen als vor der Krise.
Diverses: Es gab auch ein paar bemerkenswerte Punkte, die nur einzelne Kunden aufbrachten: die Erkenntnis, wie abhängig wir von einigen Ländern sind, dass man bei guter Planung weniger oft einkaufen gehen muss und dass man aufgrund der Einschränkungen auch viel tolles Neues, Ungewohntes entdecken konnte.
Mein persönliches Fazit: für mich persönlich brachte die Corona-Zeit eine deutliche Entschleunigung, dies weil alle meine Workshops bis Mitte Jahr abgesagt wurden und ich auch kaum neue Coaching-Kunden gewann. Ich realisierte erst dann, wie durchgetaktet ich in den letzten rund zwei/drei Jahren (Erfolg sei dank…) war. Ich hatte während der Corona-Zeit viele Online-Coachings, die von beiden Seiten als erstaunlich positiv eingeschätzt wurden, weil ich meine Kunden schon gut kannte, aber ich hatte klar weniger zu tun als sonst. Diese Ruhe (unterstützt durch regelmässige Meditationen) führte dazu, dass ich kreativ wurde und endlich Zeit hatte, mein Herzensprojekt zu verfolgen und auch umzusetzen: ich schreibe ein Buch über das Thema „nachhaltige Leistungsfähigkeit“ – unter dem Motto: das Geschäftsleben ist kein Sprint, sondern ein Marathon, und da muss man seine Energie gut managen (mehr dann mal später…). Das Buch zu schreiben, macht mir unglaublich viel Spass. Ich muss mich nur manchmal davor schützen, mich bzgl. des (nicht vorhandenen…) Abgabetermins nicht zu stark unter Druck zu setzen…
Ich genoss die viele Zeit mit meinem Mann, meinen zwei Mädchen und den zwei Katzen, empfand aber die Kombination von Arbeiten und Home Schooling als sehr herausfordernd, da unsere Mädchen erst 8 und 10 sind und viel Begleitung brauchten. Sie hätten unseren gemeinsamen Kalender für den Mai sehen sollen – das war eine Riesen-Organisiererei: wer wann Online-Meetings hatte und wer die Mädchen betreute… Sehr schwierig war für mich, dass meine 79-jährige Mutter als Witwe immer alleine zuhause war und mit der Zeit wirklich darunter litt. Aber jetzt dürfen wir sie ja wieder besuchen! Ich habe wenige Beziehungen gepflegt, aber diese intensiver. So war ich mit meiner Mutter z.B. in sehr engem Online-Kontakt. Am allerschwierigsten fand ich und finde ich immer noch, dass man alles vorsichtig machen muss, nie seinen Impulsen folgen darf, sondern in fast jeder Sekunde des Ausserhausseins aufpassen muss, wie nahe man jemandem kommt, wie man sich begrüssen soll usw. Corona ist dauerpräsent in allen Köpfen.
Nicht zurück in den alten Modus
Was nehmen meine Coaching-Kunden und ich nun aus der Corona-Zeit mit? Was wollen wir anders machen als vorher? Eine meiner Coaching-Kundinnen hat es stellvertretend für alle anderen so zusammengefasst: „Ich möchte eigentlich gar nicht zurück in den alten Modus.“ Alle sagen, dass sie bewusster leben wollen, mehr das tun, was ihnen wichtig ist und gut tut: mehr Zeit mit der Familie und engen Freunden verbringen (also Beziehungen noch enger pflegen), Bewegung, Natur, bewusster und weniger reisen. Sie wollen ihre Agenda nicht wieder gleich auffüllen wie vorher (geschäftlich weniger an Abenden, privat nicht so volle Wochenenden), sondern mehr Zeit für Spontanes lassen, kurz gesagt: „weniger ist mehr“.
Im Geschäftlichen wollen sehr viele auch nach Corona (wenn es das überhaupt gibt…) regelmässig von zuhause aus arbeiten, mehr Pausen machen und sich verstärkt abgrenzen. Zwei erwähnten, dass sie gewisse Hygienemassnahmen auch längerfristig einhalten würden. Insgesamt stelle ich fest, dass meine Kunden sich für ein bewussteres und dadurch gesünderes Leben entschieden haben und die neu erworbene Gelassenheit mitnehmen wollen – wie toll!
© Claudia Kraaz