Teaser Auf Spurensuche in Gesprächen

Ein Lob auf die Langeweile

12. Juni 2019 / Allgemein
Resilienz

Prinz Charles wartet schon mehr als sechs Jahrzehnte darauf, den englischen Thron zu übernehmen. Und wir? Schon nur fünf Minuten auf den Bus zu warten, macht uns ganz kribbelig. Wir sind so stark darauf konditioniert, immer aktiv zu sein, dass wir nicht wissen, wie wir mit der aufkommenden Langeweile umgehen sollen. Dabei braucht unser Gehirn zwischendurch Phasen des Nichts-Tuns, um kreativ und längerfristig produktiv zu sein.

Wahrscheinlich geht es Ihnen gleich wie den meisten anderen Menschen auch: kaum haben wir einmal ein paar Minuten nichts zu tun und müssen warten, wissen wir mit unserer Zeit nichts Besseres anzufangen, als unser Smartphone zu zücken, irgendjemandem eine meist nicht so wichtige Message zu schicken oder ziellos herumzusurfen. Viele Menschen halten Langeweile gar nicht mehr aus und füllen Sie mit sogenannten „Reflexaktionen“ wie dem Griff zum Handy. Das sind Automatismen, denen wir uns häufig gar nicht bewusst sind.

Und wenn Sie mal im Stau stehen, nervt sie dies vermutlich ungemein – solch eine unproduktive Zeit, und sie geht dann auch viel langsamer vorbei (hat man das Gefühl…)! Unsere Zeit ist geprägt von Nonstop-Aktivitäten, dem Nützlichkeits-Prinzip und dem Drang nach Dauer-Optimierung. Nützen wir unsere Zeit möglichst effizient und effektiv, alles andere ist Zeitverschwendung! Wir hetzen von Meeting zu Meeting und am Abend ins Fitnesscenter, treffen Freunde oder erledigen zuhause noch einiges. Gegen Sport und soziale Kontakte habe ich ja gar nichts einzuwenden, aber gegen eine voll durchgetaktete Agenda schon. Denn die führt zu Stress.

 

Langeweile ist „super food“ für unser Gehirn

Wir haben immer das Gefühl, dass wir etwas zu tun haben, dass etwas erledigt werden muss. Kennen Sie den Begriff „the rushing women syndrom“ der australischen Autorin Libby Weaver? Nicht nur wir Frauen, sondern auch viele Männer sprinten durchs Leben: Meetings und andere Termine von morgens früh bis abends spät und an den Wochenenden sowieso. Unzählige To-do-Listen, Apps, die uns auffordern, dieses und jenes für unsere Gesundheit zu tun usw. Kein Wunder, fühlen sich immer mehr Leute gestresst durch diesen konstanten „on“-Modus und diese Überstimulierung.

Wann hatten Sie das letzte Mal ein ganzes Wochenende lang nichts vor, nichts verplant – sind einfach Ihren Impulsen gefolgt und haben spontan gemacht, auf was Sie gerade Lust hatten? Oder haben sogar einmal GAR NICHTS gemacht? Eventuell können Sie sich gar nicht mehr daran erinnern. Das ist eigentlich schade. Denn Nichtstun macht den Kopf frei für Neues. Weniger Aktivitäten führen erwiesenermassen zu einem grösseren Ideenreichtum, da wir dann unserem Gehirn einmal erlauben, zu denken, was es denken will, ohne in Schemata gezwängt zu werden – mit der Folge, dass wir kreativer und innovativer werden. Der Grund dafür ist, dass beim Tagträumen dieselben Gehirnregionen aktiviert werden, die für die Vorstellungskraft und die Kreativität zuständig sind.

 

Unser Gehirn braucht Pausen

Aus einem weiteren Grund braucht unser Gehirn zwischendurch einmal eine Pause. Wissenschaftler der McGill University in Kanada haben herausgefunden, dass der Blutdruck sinkt und das Gehirn sich erholt und sich für spätere Anforderungen rüstet, wenn man einmal nichts tut. Wissenschaftler der University of Michigan haben festgestellt, dass Probanden, die vor einem Test eine Pause hatten, in der sie alleine waren, ein besseres Resultat erzielten als ihre Kollegen, die vor der Prüfung in ein Gespräch verwickelt wurden. Um längerfristig leistungsfähig zu bleiben – das Leben ist ja ein Marathon und kein Sprint – brauchen wir also zwischendurch einmal Musse und lange Weile. Diese wirken sich zudem positiv auf die Schlafqualität und die emotionale Stabilität aus.

 Wieso haben wir ein solch grosses Problem mit dem Nichts-Tun? Die meisten Menschen definieren sich über ihre Leistung. Und wenn einmal keine Anforderungen an sie gestellt werden, fühlen sie sich unwohl dabei und reagieren mit innerer Unruhe (eben diesem kribbelig sein) und davon abgeleitet mit Hyperaktivität. Zudem sind wir gewohnt, dass unser Gehirn durch News, viele Messages und Likes Dopamin-Kicks bekommt, und dürsten deshalb nach immer mehr von diesem Glückshormon. Das Schwierige daran ist, dass wir immer mehr davon brauchen, um wirklich einen positiven Kick zu erhalten – da besteht klar Suchtgefahr! Und dann suchen wir immer stärkere Reize, z.B. durch Risikosportarten oder andere Exzesse. Ausserdem kommen beim Nichtstun verdrängte Gefühle hoch, was für viele anstrengend ist. Aber nur wenn wir uns diesen stellen, kann etwas Positives, Neues daraus entstehen.

 

Das Gehirn dankt es Ihnen

Versuchen Sie doch wieder einmal, gegen Ihren inneren Widerstand GAR NICHTS zu tun, Leere zuzulassen und zu schauen, was passiert. Am Anfang wird es vielleicht unangenehm sein, aber bleiben Sie dran. Und die Entspannung wird kommen. Oder machen Sie es wie der britische Autor Tom Hodgkinson, der Gründer des preisgekrönten Magazins „The Idler“ (der Faulenzer), und widmen sich kleinen, unspektakulären Dingen wie z.B. einen ganzen Nachmittag den Garten ansehen, einen Knopf annähen, ein Bad nehmen usw.

Sie können auch einmal – anstatt an der Bushaltestelle sofort Ihr Handy zu zücken – die Leute um sich herum beobachten – nur im Moment sein und wahrnehmen, was ist (man nennt das Achtsamkeit). Oder bewusst Wartezeiten umbewerten, z.B. „der Stau entschleunigt mich“ oder „nichts tun tut mir auch mal gut“. Das Gehirn braucht vielleicht etwas Zeit, um sich umzustellen, aber es wird es Ihnen mit der Zeit mit mehr Kreativität und Konzentration, besseren Leistungen und Entspannung danken.

 

©  Claudia Kraaz

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