Teaser Auf Spurensuche in Gesprächen

„Führung ist lernbar“

29. September 2020 / Allgemein
Resilienz

Sich in Führungsfragen weiterzuentwickeln, sei mindestens so wichtig wie in Fachthemen, sagt Stefanie Weber, Head of Group Human Resources von Swiss Life, im Interview. Häufig würden sich aber die Vorgesetzten zu wenig Zeit dafür nehmen. Für Weber hat eine heutige Führungskraft verschiedene Rollen inne, u.a. diejenige des Coachs und Mentors. Gemäss Weber sei es nicht mehr zeitgemäss, wenn Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden anhand der Präsenzzeit anstatt des geschaffenen Werts messen würden.

Claudia Kraaz: Was zeichnet eine gute Führungskraft aus? Wie hat sich dies verändert in den letzten Jahren, und wie wird sich dies in Zukunft verändern?

Stefanie Weber: Meiner Ansicht nach hat das klassische Chef-Modell «Ich bin der Chef und sage, was läuft» ausgedient. Eine heutige Führungskraft hat verschiedene Rollen gleichzeitig inne, darunter vor allem die Rolle als Coach und Mentor. Sie kann zudem gut koordinieren und schafft die nötigen Rahmenbedingungen für ihre Mitarbeitenden mit dem passenden Grad an Autonomie. Gleichzeitig übernimmt eine erfolgreiche Führungskraft Verantwortung: Wenn nötig, trifft sie Entscheidungen, interveniert und steuert.

Die Rolle von Vorgesetzten wird stark geprägt durch die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Ich gehe davon aus, dass wir künftig auch ausserhalb von Projekten noch stärker in Netzwerken von Teams agieren. Konkret: Mitarbeitende arbeiten bei gewissen Themen bereichs- und funktionsübergreifend mit Kolleginnen und Kollegen zusammen, während sie gleichzeitig Teil einer festen Organisationsstruktur sind. Vorgesetzte müssen ihre Mitarbeitenden deshalb in- und ausserhalb fester Strukturen führen können. Als Anforderung kommt hinzu: Künftig werden vermehrt Teile von Teams an unterschiedlichen Orten arbeiten – physisch vor Ort und im mobilen Office. Eine gute Führungskraft kann mit diesen Umständen umgehen.

 

„Weiterbildung in der Führung kommt oft zu kurz“

Was sind die häufigsten Fehler, die Chefs in der Führung machen?

Führen ist schon längst kein Nebenjob mehr und der beste Fachexperte nicht unbedingt die beste Führungskraft. Häufig sind Führungskräfte eher als Manager unterwegs. Lediglich ein Team zu managen, reicht aber schon lange nicht mehr aus. Sich in Führungsfragen regelmässig weiterzuentwickeln, ist mindestens genau so bedeutend wie in fachlichen Themen. Allerdings kommt bei Vorgesetzten die Weiterbildung in der Führung oft zu kurz – gerade wenn sie zeitlich unter Druck stehen. Regelmässige frische Impulse sind jedoch zentral, damit Führungskräfte neue Methoden ausprobieren und sich aktiv mit ihrer Führungsrolle auseinandersetzen.

 

Studien haben gezeigt, dass sich Chefs tendenziell in der Führung stärker einschätzen, als ihre Mitarbeitenden sie diesbezüglich benoten. Wieso ist dies der Fall, und wie kann man dies ändern?

Für mich spielt es weniger eine Rolle, wer wen besser oder schlechter einschätzt. Entscheidend ist, wie ich als Vorgesetzte ein möglichst realistisches Bild meiner Führungsarbeit erhalte. Hier kann helfen, wenn sich Führungskräfte mit dem Thema Selbstreflexion befassen oder regelmässig 360-Grad-Feedbacks durchführen. Gut ist es, wenn im Team und zwischen den Mitarbeitenden und dem Vorgesetzten ein Vertrauensverhältnis besteht und man sich ehrlich die Meinung sagen kann. Die Grundvoraussetzung dafür: Die Führungskraft möchte Feedbacks auch wirklich hören, fragt offen danach und ist bereit, wenn nötig auch etwas zu ändern.

 

Kann man führen lernen oder nicht?

Führung ist absolut lernbar, denn es gibt klare Führungskompetenzen wie Kommunikation, strategisches Denken oder Innovation, die man erlernen und verbessern kann. Natürlich beeinflusst auch die Persönlichkeit die Führungsarbeit. Persönlichkeitsmerkmale sind zwar schwieriger bis gar nicht veränderbar, jedoch können Vorgesetzte sich damit auseinandersetzen. Reflektierte Führungskräfte kennen ihre Stärken und Schwächen und können damit umgehen lernen, wenn sie das denn auch wollen.

 

„Es wird auch weiterhin Führungskräfte brauchen“

Mitarbeitende werden heutzutage angeregt, eigenverantwortlich und selbständig zu arbeiten. Braucht es da noch Chefs? Oder anders gefragt: was halten Sie von sich selbst führenden Teams?

Ich halte es für ein wertvolles Gut, wenn Mitarbeitende eigenverantwortlich und selbstbestimmt arbeiten können. Dies fällt aber nicht jedem gleich leicht: Bei den einen Mitarbeitenden ist eine stärkere Unterstützung gefragt als bei anderen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir auch weiterhin Führungskräfte brauchen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, was eine gute Zusammenarbeit ausmacht und wie sich ein gut ergänzendes Team zusammensetzt. Wenn diese Faktoren stimmen, geht vieles auch mal ohne Chef.

Ich habe kürzlich selbst diese Erfahrung gemacht. Wir haben unser jährliches gruppenweites Management-Meeting wegen Corona virtuell durchgeführt. Ein kurzfristiges und herausforderndes Vorhaben. Und obwohl es Neuland war für alle Beteiligten: Der Event war ein grosser Erfolg. Das Projektteam hat sich aus Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Funktionen und Divisionen zusammengesetzt. Die Chemie stimmte von Anfang an, alle Mitglieder organisierten sich eigenständig und packten wo nötig an. Jeder hat seine Rolle eigenverantwortlich im Sinne des Ganzen wahrgenommen. Obwohl ich formal als Projektleiterin auf dem Papier stand, konnte ich mich in diesem Falle als Führungskraft zurücknehmen.

 

In Zukunft arbeiten viel mehr Menschen im Home Office. Welchen Einfluss hat dies auf die Führung? Wie unterscheidet sich die Führung von Mitarbeitenden im Home Office von der physischen Führung vor Ort?

Generell bin ich überzeugt, dass eine Kombination der Arbeit vor Ort und im Mobile Office sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Unternehmen ideal ist. Umso mehr ist es nicht mehr zeitgemäss, wenn zum Beispiel Führungskräfte ihre Mitarbeitende nach Präsenz und nicht nach Leistung und geschaffenem Wert beurteilen. Egal, ob vor Ort oder im mobilen Office: Vorgesetzte sollen nach klaren Zielen führen; was zählt, ist das Ergebnis. Zudem ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden verstehen, welchen Beitrag sie zum Unternehmenszweck leisten. Es ist wichtig, das Gesamtbild zu verstehen, damit Mitarbeitende eigenverantwortlich handeln können. Dafür braucht es gewisse Leitplanken und gleichzeitig genügend Spielraum.

Die grösste Herausforderung für Führungskräfte sehe ich darin, wie sie den Teamgeist fördern und die Firmenkultur vermitteln – trotz räumlicher Trennung. Dazu braucht es teaminterne Abmachungen, zum Beispiel dass die Kamera bei Videokonferenzen an ist, um Nähe herzustellen, oder dass einmal pro Woche alle an einem bestimmten Tag vor Ort sind. Denn trotz aller Flexibilität: Der direkte, informelle und persönliche Austausch wird weiterhin ein wichtiger Teil einer Firmenkultur ausmachen.

 

Stefanie Weber (48) stieg 1995 bei der ehemaligen Rentenanstalt als Praktikantin ein und ist dem Nachfolge-Unternehmen Swiss Life seither treu geblieben. Sie hatte sehr unterschiedliche Funktionen inne: u.a. im Vertrieb, dem Strategie- und Projektmanagement sowie im CEO Office. Seit 2014 ist sie in leitenden Funktionen im Bereich Human Resources des Versicherers tätig und steht ihm seit März 2020 vor. Ursprünglich ist Weber Versicherungskauffrau und Betriebsökonomin.

 

© Claudia Kraaz

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