Cheffing: wie führe ich meinen Chef
„Meinen Chef von unten führen: geht das?“, fragen Sie sich vielleicht nun. Ja, das geht! Meine Erfahrung zeigt: das Wichtigste dabei ist, sein volles Vertrauen zu gewinnen, indem Sie ihm zeigen, dass Sie hinter ihm stehen. Als Zweites gilt es, herauszufinden, was ihm wichtig ist und wie er tickt. Dann können Sie mit dem positiven Beeinflussen beginnen. Cheffing braucht Geduld, Fingerspitzengefühl, Beobachtungsgabe und eine taktische Vorgehensweise.
Ich hatte einmal einen sehr bekannten Chef, den CEO einer Grossbank. Er genoss grossen Respekt bei den Mitarbeitenden, aber aufgrund seines sehr selbstbewussten Auftretens und seiner grossen Autorität getrauten sich nur wenige, ihm ungeschminkt die Wahrheit zu sagen – ich schon… Für mich war er der beste Chef, den ich je hatte, auch wenn er – wie meine Mutter jeweils zu bemerken pflegte – „etwas grummelig“ wirkte. Selbstverständlich führte er mich, aber ich führte ihn auch, und er liess sich von mir führen – zum Wohle von uns beiden, also eine absolute Win-Win-Situation. Ich bin mir sicher: er würde diese Aussage ebenfalls unterschreiben.
Chefs sind auch nur Menschen
Wieso profitieren beide Seiten von einem „Führen von unten“? Um Missverständnisse zu vermeiden: es geht nicht darum, den Chef* von unten zu „bossen“. Das Ziel ist, im Sinne der gemeinsamen Sache positiv auf den Vorgesetzten einzuwirken, indem man versucht, bestimmte Entscheidungen herbeizuführen und Verhaltensweisen positiv zu beeinflussen, mit der Idee, dass dies allen dient. Auch Chefs sind nicht perfekt. Meine Erfahrung ist: die starken, selbstbewussten Chefs sind sich dessen bewusst und wollen nicht einfach herrschen aufgrund ihrer Stellung, sondern wollen die fachlichen und persönlichen Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden nutzen und nehmen sie entsprechend ernst – zu ihrem Wohle und zum Wohle des Unternehmens.
Wie schafft man es denn nun, seinen Chef von unten zu führen? Zuerst einmal muss man ein paar Regeln beachten, wie man Chefs ja nicht behandeln sollte:
- Stellen Sie Ihren Chef nie vor Anderen bloss oder gehen vor versammelter Runde auf totalen Konfrontationskurs mit ihm. Sonst zeigt er Ihnen dann, wer der Chef ist…
- Unterbrechen Sie ihn (und auch Andere) nicht.
- Sagen Sie Ihrem Chef nie: „Das geht nicht!“, auch wenn Sie völlig überzeugt sind davon. Stattdessen kommen Sie beim nächsten Meeting mit anderen möglichen Optionen und überzeugen Sie ihn davon. Lehnen Sie einen Vorschlag des Chefs also nicht einfach ab, sondern sagen z.B.: „Ich kümmere mich darum und gebe Ihnen dann Bescheid.“ Oder stellen Sie ihm Fragen wie etwa: „Was sind Ihres Erachtens die Vorteile dieser Lösung?“ oder „Sehen Sie noch andere Möglichkeiten?“. Mit Fragen zu arbeiten ist meiner Erfahrung nach in der Führung (gegen unten und gegen oben) etwas vom Wirkungsvollsten, das es gibt. Man zeigt, dass man die Leute ernst nimmt und kann gleichzeitig auf andere Lösungsmöglichkeiten hinarbeiten.
- Lästern und jammern Sie nicht. Chefs mögen das nicht. Selbstverständlich dürfen, ja müssen Sie zum Beispiel Schwierigkeiten in Ihrem Projekt ansprechen, aber kommen Sie immer gleich mit Lösungsvorschlägen. Sonst denkt er, Sie hätten die Sache nicht im Griff.
- Schreiben oder reden Sie nie salopper als der Vorgesetzte. Das wäre respektlos.
- Machen Sie keine (für ihn negativen) Vergleiche mit seinem Vorgänger. Sonst hat er das Gefühl, dass Sie ihm gegenüber Misstrauen bekunden und vielleicht grundsätzlich Mühe haben, mit Veränderungen konstruktiv umzugehen.
- Nehmen Sie Angriffe Ihres Chefs nicht (zu) persönlich. Er ist starkem Druck ausgesetzt und hat vielleicht seine Emotionen nicht immer im Griff, meint es aber nicht so, wie er es vielleicht im Affekt sagt. Da konnte ich bei meinem vergangenen Chef immer wieder üben, vor allem wenn wieder mal ein negativer Medienartikel erschienen war… Versuchen Sie, in einer solchen Situation die Perspektive zu wechseln: steht Ihr Chef vielleicht noch stärker unter Druck als Sie? Gibt es Einflussfaktoren, die Ihnen nicht bekannt sind?
Gewinnen Sie sein volles Vertrauen
Was hilft Ihnen nun, um den Chef im Sinne der gemeinsamen Sache positiv zu beeinflussen?
- Meine persönliche Erfahrung: die Basis des „Führen von unten“ ist, das volle Vertrauen des Chefs zu gewinnen. Zeigen Sie sich 100% loyal gegen aussen, und lassen Sie ihn spüren, dass Sie voll hinter ihm stehen. Als Vorgesetzter ist man häufig sehr einsam. Im Alltag bedeutet dies, dass man wenig Leute hat, denen mal voll vertrauen kann, und dass man kaum positives Feedback erhält, Lob schon gar nicht. Wenn Ihr Chef merkt, dass Sie ihn gegen aussen voll unterstützen, beginnt er sich zu öffnen.
- Seien Sie verlässlich. Halten Sie Deadlines ein, seien Sie pünktlich, vergessen Sie keine Aufgaben usw. Das trägt auch dazu bei, dass Ihr Chef das Gefühl bekommt, Ihnen vertrauen zu können.
- Zeigen Sie ihm Ihre Wertschätzung und loben Sie ihn. Auch Chefs sind nur Menschen und brauchen Anerkennung und Bestätigung. Verstärken Sie positives Führungsverhalten, indem Sie ihm dafür positives Feedback geben. Dann macht er es ja vielleicht wieder einmal…
- Wenn Sie sein volles Vertrauen haben, können Sie ihm auch kritisches Feedback geben – selbstverständlich nur im Eins-zu-Eins-Gespräch. Ein Chef darf kritisiert werden – die Frage ist wann und wie.
- Wenn ich sage, dass Sie Ihrem Chef Wertschätzung zeigen sollen, meine ich deshalb nicht, dass Sie ihm nach dem Mund reden, ja „schleimen“ sollen. Bleiben Sie authentisch. Sonst wird Ihre Meinung nicht ernst genommen. Chefs wollen – und ich meine das nicht negativ -, dass ihre Mitarbeitenden für sie einen Mehrwert generieren. Für das bezahlt er sie ja. Und wenn Sie immer nur „ja und amen“ sagen zu einem Input Ihres Chefs, bringt ihm das nichts.
- Beobachten Sie Ihren Chef und lernen ihn gut kennen: ist er ein Morgen- oder ein Abendmensch? Wann ist er am ehesten offen für neue Ideen? Auf welche Ideen spricht er am ehesten an? Welche Faktoren sind ihm dabei wichtig? Worauf reagiert er empfindlich? Und handeln Sie entsprechend Ihrer Analyse.
- Ein Umgang mit „schwierigen“ Chefs will gelernt sein. Wenn Sie einen Chef haben, der ein Fähnchen im Wind ist, fassen Sie am Ende des Gesprächs alles Wichtige zusammen und fragen Sie nach, ob Sie alles richtig verstanden haben, oder lassen sich Anordnungen schriftlich geben. Wenn Sie einen Mikromanager als Chef haben, seien Sie ihm immer einen Schritt voraus und geben Sie ihm regelmässige Updates. Dann hat er die Sicherheit, die er braucht. Wenn Ihr Vorgesetzter schlecht Prioritäten setzen oder entscheiden kann, fragen Sie nach und weisen ihn auf Konsequenzen hin.
Wenn Sie einen schlechten Chef haben, begeben Sie sich ja nicht in die Opferrolle, sondern versuchen, ihn als Geschenk zu sehen. Sie können viel von ihm lernen, z.B. wie man nicht führen sollte, wie Sie für sich einstehen können, ohne einen offenen Konflikt zu riskieren, oder welche Strategien man anwenden muss, um zum Ziel zu kommen.
Cheffing braucht viel Fingerspitzengefühl, eine gute Beobachtungsgabe und eine taktische Vorgehensweise. Wenn Sie einen Vorgesetzten erfolgreich von unten führen, profitieren beide Seiten. Denn es dient Ihrem Wohl, seinem und dem des Unternehmens.
* In diesem Zusammenhang möchte ich wieder einmal darauf hinweisen, dass ich aufgrund der Lesbarkeit nur die männliche Schreibweise verwende. Alles hier Gesagte gilt selbstverständlich auch für Chefinnen!
© Claudia Kraaz