„VIELE MENSCHEN HABEN VERLERNT, AUCH LANGEWEILE ZU GENIESSEN“
Hans Werner, Leiter Group Human Resources und Konzernleitungsmitglied der Swisscom, plädiert im Interview dafür, dass wir wieder vermehrt lernen müssten, uns abzugrenzen und richtig zu entspannen. Das Wichtigste sei dabei, mit den eigenen Ressourcen achtsam umzugehen. Er erläutert zudem, dass Swisscom stark auf agile Führung und Zusammenarbeit setzt. Für die Mitarbeitenden bedeutet dies mehr Gestaltungsfreiraum, aber auch mehr Eigenverantwortung.
Claudia Kraaz: Swisscom ist aufgrund der veränderten Marktlage im Umbruch, muss Kosten sparen und will eine Vorreiterrolle bezüglich Agilität einnehmen. Was bringt das für Veränderungen für Ihre Mitarbeitenden mit sich?
Hans Werner: Wenn wir über Veränderungen für Mitarbeitende sprechen, sind vor allem agile Arbeitsmethoden gemeint, das, was wir als „doing agile“ bezeichnen. Darüber wird zurzeit viel diskutiert. Es ist unbestritten, dass der Wettbewerb und die sich laufend verändernden Kundenbedürfnisse von Unternehmungen Schnelligkeit und hohe Flexibilität verlangen. Wir sind überzeugt, dass Agilität in der Zusammenarbeit und in der Ausgestaltung der Führung ein grosses Potenzial beinhaltet. Führungsarbeit loszulösen von hierarchischem Denken und die damit verbundene Verantwortung auf mehrere Köpfe zu verteilen, setzt nach unserer Erfahrung Energie frei, die im beschriebenen kompetitiven Umfeld sehr wichtig ist. Für die Mitarbeitenden bedeutet dies auf der einen Seite mehr Gestaltungsspielraum, auf der anderen Seite aber auch mehr Eigenverantwortung. Führungskräfte wiederum müssen lernen, sich vom „command and control“ Stil hin zum „servant leadership“ zu entwickeln.
Wie gehen Ihre Mitarbeitenden mit den veränderten Bedingungen um? Was fällt ihnen leicht, was bereitet ihnen eher Mühe?
Die Veränderung der Zusammenarbeits- und Führungskultur ist eine längere Reise. Sie bedingt Offenheit und Neugier der Betroffenen und verlangt gleichzeitig intensives Training und on the job Coaching. Das Loslassen von eingespielten Mechanismen der hierarchischen Führung fällt nicht allen Mitarbeitenden leicht. Wir haben über Jahre und Jahrzehnte gelernt, in dieser Rollenverteilung zu denken und zu handeln. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass viele Mitarbeitende sich durch die höhere Selbstverantwortung extrem motiviert fühlen und entsprechend mit Begeisterung auf diese Veränderung reagieren.
Eigenverantwortlich mit Freiheiten umgehen
Die neue Vision der Swisscom lautet: „Als Nummer 1 gestalten wir die Zukunft. Gemeinsam begeistern wir Menschen in der vernetzten Welt“. Das bietet Chancen, aber gleichzeitig haben viele Menschen heute Mühe mit dem Abgrenzen und der dauernden Erreichbarkeit. Was unternimmt Swisscom, damit Ihre Mitarbeitenden möglichst keine Burnouts erleiden?
Tatsächlich ist es so, dass die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit manchen Mitarbeitenden immer schwerer fällt. Arbeitsformen wie „work anywhere“, d.h. Home-Office oder auch arbeiten ausserhalb der Firma, geben viel Freiraum und ermöglichen eine bessere Abstimmung der Arbeit mit den privaten Interessen. Dies setzt aber voraus, dass die Mitarbeitenden eigenverantwortlich mit diesen Freiheiten umgehen. Neben umfangreichen Schulungsangeboten zum Thema Stress verwenden wir intern die Gesundheitsplattform Healthi, die zu verschiedenen Themen wie Ernährung, Bewegung und Wohlbefinden hilfreiche Einblicke und Empfehlungen gibt. Ein aktuelles Beispiel ist ein 6-wöchiges Online-Stressmanagement-Training, in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg i.B. Daneben sind wir zurzeit daran, ein Train-the-trainer Modul zum Thema Stress und Resilienz aufzusetzen. Zudem bieten wir mit Care Gate eine unabhängige Ansprechstelle, an die sich Mitarbeitende wenden können. Weiter haben wir im Leitfaden „Mobiles Arbeiten“ die Grundsätze zur Erreichbarkeit festgehalten, auf die sich die Mitarbeitenden beziehen können.
Was für Veränderungen in der Führungskultur haben Sie bereits umgesetzt respektive wollen Sie noch initiieren (z.B. Stichwort Holacracy), um die veränderten Marktbedingungen zu bewältigen?
Wie oben angesprochen, beinhaltet ein Teil unserer Transformation die Umsetzung von agilen Zusammenarbeitsmethoden innerhalb unseres Konzerns. Wir unterscheiden dabei zwischen „doing agile“ and „being agile“. Beim „doing agile“ wenden wir in geeigneten Situationen ganz spezifische agile Führungs- und Zusammenarbeitsmethoden an. Zurzeit haben wir etwa 2000 Mitarbeitende innerhalb des Konzerns, die in diesen Methoden geschult sind und entsprechend arbeiten. Beim „being agile“ geht es uns um den Mindset der Agilität. Wir sind überzeugt, dass auch klassische, hierarchische Führungsmodelle grosses agiles Potenzial haben.
Ich stelle fest, dass immer mehr junge Leute zu mir in ein Stress-Coaching kommen. Sie waren früher einmal Rektor einer Kantonsschule und haben heute selber erwachsene Kinder. Was ist Ihre Erklärung für dieses Phänomen?
Ich denke, dass die Dichte unseres Lebens und unseres Alltags in den vergangenen Jahren extrem zugenommen hat. Die Arbeitswelt spielt darin eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle. Viele Menschen haben meines Erachtens verlernt, zu entspannen und gezielt auch Langeweile zu geniessen. Eigentlich ist es wie im Sport: Auf jede intensive Trainingsphase muss eine ausführliche Erholung folgen, ansonsten werden Körper und Geist überfordert.
Achtsam mit eigenen Ressourcen umgehen
Was haben Sie selber Ihren Kindern mitgegeben, damit sie in unserer hektischen Arbeitswelt gut bestehen können?
Ich glaube, es ist wichtig, Kindern und jungen Menschen früh mitzugeben, achtsam mit den eigenen Ressourcen umzugehen. Die Versuchungen sind heute extrem hoch, permanent online und vernetzt zu sein. Dazu gehören auch Aspekte wie sich in Gruppen behaupten, Selbstdarstellung und Zugehörigkeit. Nur wer lernt, sich auch abzugrenzen und Nein zu sagen, kann auf Dauer mit dieser Dichte umgehen. Genau deshalb engagieren wir uns als Swisscom auch im Bereich der Medienkompetenz (https://www.swisscom.ch/de/medienstark.html).
Was heisst resilient sein für Sie, und was tun Sie persönlich für Ihre eigene Resilienz?
Neben dem Umgang mit der Dichte gehört für mich auch dazu, dass man lernt, sowohl mit Lob und Kritik als auch mit Erfolgen und Niederlagen umzugehen. Unsere Kultur ist immer noch stark davon geprägt, dass Fehler mit Versagen gleichgesetzt werden. Resiliente Menschen heben bei Erfolgen nicht ab und fokussieren sich bei Niederlagen auf das, was sie daraus lernen können.
Dr. Hans Werner (58) ist seit September 2001 Leiter Group Human Resources und Mitglied der Konzernleitung der Swisscom. Er ist ausgebildeter Betriebswirt. Von 1997-99 war er Rektor der Kantonsschule Büelrain in Winterthur. Danach hatte er während insgesamt 13 Jahren verschiedene leitende HR-Funktionen bei Swiss Re und Schindler inne.
© Claudia Kraaz